In dieser Rechtsbelehrung heißen wir Prof. Dr. Alexander Thiele willkommen, der ausführlich die verschiedenen Aspekte und Herausforderungen eines Parteiverbotsverfahrens erklärt.
Damit wollen wir Euch eine Hilfestellung in der Debatte um Parteiverbote geben und gleichzeitig die juristischen Grundlagen solcher Entscheidungen beleuchten.
Was ist eine politische Partei juristisch betrachtet?
Wir leiten die Folge mit der juristischen Definition einer politischen Partei, ihrer notwendigen Voraussetzungen und Organisationsstrukturen ein, diskutieren anschließend über die finanziellen Aspekte und Vorteile, die Parteien genießen, einschließlich der Teilnahme an Wahlen und Zuteilung politischer Posten.
Besonders im Fokus steht dabei das Parteiprivileg gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes und die Frage, wer einen Antrag auf Parteiverbot stellen kann, sowie die Bedingungen, unter denen ein solches Verbot gerechtfertigt sein könnte.
Voraussetzung, Ablauf und Dauer eines Parteiverbotsverfahrens
Ein zentrales Thema des Podcasts ist das Parteiverbotsverfahren selbst: Wie wird es initiiert, welche Rolle spielt die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ dabei, und welche Aussagen oder Verhaltensweisen von Parteianhängern können zu einem Verbot führen?
Wir betrachten dabei auch die Hürde einer notwendigen „Potentialität“, d.h. Relevanz einer Partei, sowohl nach nationalen Maßstäben als auch im Kontext der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Ebenfalls beleuchten wir die Bedeutung der Ermittlungen und Berichte des Verfassungsschutzes und diskutieren die Distanzierungspflicht einer Partei von verfassungsfeindlichen Aussagen ihrer Mitglieder.
Verbot von Landesparteien und Grundrechtsverwirkung
Wir sprechen auch über die Auswirkungen, die ein Verbot einer politischen Partei haben könnte oder umgekehrt die Zurückweisung eines Verbotsantrags.
Außerdem überlegen wir uns andere Möglichkeiten, wie man mit verfassungsfeindlichen Parteien umgehen kann. Dazu zählt, dass man ihnen vielleicht die finanzielle Unterstützung streicht oder bestimmten Leuten in der Partei bestimmte Grundrechte nicht mehr zubilligt.
Umfassender Überblick
Trotz ihrer überdurchschnittlichen Länge liefert die Episode einen tiefgreifenden Einblick in die vielschichtigen rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Überlegungen, die bei der Frage nach einem Verbot politischer Parteien eine Rolle spielen.
Wir bedanken uns herzlichst bei Prof. Thiele und hoffen, Ihr findet Freude am Hören und seid genauso gespannt auf den Austausch mit uns über eure Kommentare, die wir in unserer nächsten Diskussionsrunde gerne aufnehmen und diskutieren werden.
Zeitmarken
- 00:00:00 – Begrüßung und Vorstellung unseres Gastes (samt Bericht zum Verfahren als Vertreter der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht).
- 00:06:30 – Vorstellung des Themas und der Correctiv-Recherche als Anlass.
- 00:08:50 – Was ist eine Partei juristisch betrachtet und was sind ihre Voraussetzungen und Organisationsstrukturen?
- 00:22:00 – Finanzierung, Teilnahme an Wahlen, Posten für Funktionäre und weitere Vorteile, die Parteien genießen.
- 00:29:00 – Das Parteiprivileg und das Parteiverbot entsprechend Art. 21 Grundgesetz und wer einen Verbotsantrag stellen kann.
- 00:38:00 – Kann bei evidenter Verfassungsfeindlichkeit eine Pflicht bestehen, einen Verbotsantrag zu stellen?
- 00:49:30 – Wie läuft ein Parteiverbotsverfahren ab und wie lange dauert es, bis das Bundesverfassungsgericht entscheidet? Ist ein Schnellverfahren möglich?
- 00:57:30 – Was ist die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“, auf deren Beeinträchtigung die zu verbietende Partei ausgehen muss?
- 01:06:00 – „Potentialität“ und die notwendige Relevanz einer Partei
- 01:08:00 – Welche Aussagen und welches Verhalten von Funktionären, Mitgliedern und Anhängern können der Partei zugerechnet werden? Gibt es eine Distanzierungspflicht der Partei?
- 01:18:00 – Welche Relevanz haben die Ermittlungen und Berichte des Verfassungsschutzes und warum schränkt ein Parteiverbotsverfahren die Möglichkeit ihrer Beobachtung ein?
- 01:21:00 – Ab wann wird die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet? Ist der Einsatz von Gewalt notwendig? Und hat die Größe der Wählerschaft eine Relevanz?
- 01:24:30 – Welche Folgen hätte die Zurückweisung eines Antrags auf ein Parteiverbot und kann nicht bereits ein Verbotsverfahren auf die geprüfte Partei demokratisierend wirken?
- 01:32:00 – Was passiert als Folge, nachdem eine Partei verboten wurde.
- 01:35:00 – „Potentialität“ und die notwendige Relevanz einer Partei als Maßstab des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
- 01:39:00 – Kann ein Parteiverbotsantrag erneut gestellt werden?
- 01:43:00 – Welche Relevanz haben die Feststellungen und Einstufungen des Verfassungsschutzes für das Bundesverfassungsgericht?
- 01:45:00 – Kann statt der Bundespartei nur ein evidenter verfassungsfeindlicher Landesverband verboten werden?
- 01:48:30 – Ist der Entzug der Parteifinanzierung eine einfachere Alternative zum Parteiverbot?
- 01:53:00 – Können alternativ Parteifunktionären die Bürgerrechte entzogen werden (sog. Grundrechtsverwirkung gem. Art. 21 GG)?
Maßgebliche Artikel des Grundgesetzes
Art 21 GG
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.
(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.
Art 18
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.
Weiterführende Links
- „Grundrechtsverwirkung und Parteiverbote gegen radikale AfD-Landesverbände (Teil 1-3)“ von Mathias Hong beim Verfassungsblog.
- „Das kleine Parteiverbot – Lässt sich die Junge Alternative über das Vereinsrecht verbieten?“ von Kathrin Groh im Verfassungsblog.
- „Wehrhafte Demokratie – Die Instrumente des Parteiverbots und der Grundrechtsverwirkung“ von Lorenz Wielenga im Verfassungsblog.
- „Thüringen-AfD verbieten?“ von Gertrude Lübbe-Wolff im Verfassungsblog.
- „Wie realistisch ist eine Verwirkung von Grundrechten für Höcke und Co.?“ von Dr. Max Kolter bei LTO.
- „Keine Grundrechtsverwirkung statt Parteiverbot“ von Christian von Coelln beim Verfassungsblog.
- Parteiverbote in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Wikipedia).
- VG Köln, 08.03.2022 – 13 K 326/21 (VG Köln erlaubt Beobachtung durch Verfassungsschutz).
- „BVerfG-Urteil gegen NPD könnte auch AfD betreffen – Breite Zustimmung für NPD-Finanzierungsausschluss“ in der LTO zum Urteil BVerfG, 23.06.2021 – 2 BvB 1/19.
- „Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele“ – Pressemitteilung zum Urteil BVerfG, 17.01.2017 – 2 BvB 1/13.
Robert H.
10. März 2024 at 17:01Für mich die perfekte Rechtsbelehrung Podcast-Episode: ein interessantes Thema mit aktuellem Bezug, ein Gast mit sehr viel Wissen, eine klare nachvollziehbare Struktur, genau das richtige Maß an „Reibung“ mit den Fragen von Markus, ergänzende Fragen von Thomas und ein interessanter Einstieg und ein passender Ausklang. Mit 2 Stunden eher lang, aber ich wüsste nicht, was ihr hättet weglassen können. Macht weiter so!!!
schmittlauch
11. März 2024 at 0:29Zur Listenaufstellung:
Es dürfen auch Nicht-Parteimitglieder auf Parteilisten bei Wahlen antreten. Die Rechtsgrundlage habe ich nicht herausgesucht, kann aber mit der normative Kraft des Faktischen dienen:
Auf Bundesebene ist das eher selten, da fällt mir nur Anke Domscheit-Berg ein die auf der Liste der Linken in den Bundestag gewählt wurde, aber erst wesentlich später bereits als MdB dann Parteimiglied wurde.
Auf Kommunalebene wiederum ist das schon wesentlich häufiger, da fällt mir etwa Annalena Schmidt ein die für die Grünen im Bautzner Stadrat saß, aber nie Parteimitglied war. Auch ich selbst wurde bereits von Parteien gefragt, ob ich mich auf deren Liste aufstellen lassen möchte ohne Mitglied zu sein.
Benedikt
5. Juni 2024 at 13:25Eine tolle Folge, besonders durch einen sehr tollen Gast! Unabhängig von konkretem Bezug zu aktuellen politischen Themen, würde ich Herrn Thiele unfassbar gerne nochmal in einer Folge zu Verfassungsrecht (im allgemeinen) oder zum Bundesverfassungsgericht (im allgemeinen) hören.