Bringt die Gesichtserkennungs-Technologie einen Zuwachs an Sicherheit und Bequemlichkeit oder ist sie der Weg in die totale Überwachung ohne Privatsphäre? Wir diskutieren in dieser Folge über die Vorteile, Nachteile und den rechtlichen Rahmen der Gesichtserkennungstechnologien.
Effektive und günstige Sicherheit?
Die Gesichtserkennungs-Technologie wird vor allen von Sicherheitsbefürwortern angepriesen. So soll die Sicherheit durch automatische Erkennung von verdächtigen Subjekten anhand biometrischer Gesichtsmerkmale effektiver und kostengünstiger werden.
Aber auch über Sicherheitszwecke hinaus, kann Gesichtserkennung kommerziell, z. B. zwecks Darstellung einer auf das Geschlecht oder Alter zugeschnittener Werbeanzeigen oder zur Steigerung der Bequemlichkeit als eine Mensch-Maschine-Schnittstelle eingesetzt werden.
Verlust der Privatsphäre?
Kritiker finden dagegen, dass das Risiko der Erstickung freiheitlicher Grundwerte durch diese mutmaßlichen Vorteile keineswegs aufgewogen wird. Vielmehr sehen sie die Gefahr einer flächendeckenden Überwachung, die jederzeit von politischen Kräften missbraucht werden kann. Sie fordern daher, dass die Gesichtserkennung per Gesetz verboten oder nur in einem engen Rahmen erlaubt wird.
Clearview-Skandal
Wir besprechen beide Positionen und beginnen mit dem Skandal um die von über 600 US-Polizeidienststellen eingesetzte Gesichtserkennungssoftware Clearview. Sie hilft den Behörden potentielle Täter (aber wohl auch Opfer zu erkennen) und greift auf Bilder zu, die in sozialen Netzwerken hochgeladen oder über die Google Bildersuche zu finden sind.
Dabei betrachten wir den rechtlichen Rahmen für Sicherheitsbehörden, als auch für Unternehmen und Privatpersonen nach der DSGVO.
Von der Überwachungsgesellschaft zur totalen Kontrolle
Anschließend diskutieren wir über die möglichen Risiken für die Meinungsfreiheit und die Privatsphäre als Grundlagen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Dabei fragen wir uns, ob die Gesichtserkennungstechnologien eine Zäsur der Überwachung darstellen.
Die heutigen Überwachungsstrukturen werden mit einem panoptischen Modell beschrieben. D.h. die überwachten Personen sollen sich aus Angst, dass ihr Verhalten beobachtet wird, von sich aus disziplinieren.
Wenn dieser „jemand“ jedoch durch Maschinen ersetzt wird, an ein das Netz bereits vorhandener Überwachungskameras und das Internet gekoppelt sowie jedermann zur Verfügung gestellt wird, dann nähern wir uns einer so genannten Kontrollgesellschaft.
Anders als bisher, wird die Überwachung dann von örtlichen und menschlichen Schranken losgelöst und kann durch jedermann, zu jederzeit und überall stattfinden (auch bezeichnet als Superpanoptikum oder Postpanoptikum).
Diese totale Kontrolle könnte vor allem dazu führen, dass Menschen sich im öffentlichen Raum nicht mehr frei fühlen können. Die Angst vor Sanktionen für die kleinste unerwünschte Abweichung von sozialen Normen könnte sie daran hindern, sich politisch zu betätigen, Kritik an Misständen zu üben oder gar Ideen austauschen und sich mit anderen Menschen zu treffen.
Ihre Meinung und Vorschlag für die nächste Folge
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Hören und freuen uns auf Ihre Ansichten. Dabei sind wir gespannt ob Sie unsere Gedanken teilen, vielleicht doch zu viel Dystopie heraushören oder die Risiken gar noch höher einschätzen.
P.S. Diese Folge widmet sich den Grundsätzen des Rechts und orientiert sich vor allem an philosophischen und sozial-wissenschaftlichen Ideen.
Daher fragen wir am Ende, ob Sie sich in den kommenden Folgen „handfesteres Recht“ zum Thema Videoüberwachung wünschen. D.h. Erläuterungen wann z.B. Überwachungskameras bei der Arbeit oder auf dem Privatgrundstück, Klingelkameras an der Haustür, Dashcams im Auto oder Kamera in Drohne eingesetzt werden dürfen. Falls ja, bitte sagen Sie uns in den Kommentaren Bescheid.
Zeitmarken
- 00:03:00 – Der Clearview-Skandal.
- 00:08:00 – Gesichtserkennung und biometrische Daten.
- 00:11:30 – Ist die Gesichtserkennung rechtlich erlaubt?
- 00:19:0 – Wann bedarf die Gesichtserkennung einer ausdrücklichen Einwilligung und wann darf sie von Polizeibehörden eingesetzt werden?
- 00:23:00 – Erfahrungen beim Test der Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz in Berlin und Einsatz der Gesichtserkennungstechnologien beim G20-Gipfel in Hamburg.
- 00:28:30 – Dürfen öffentlich verfügbare Bilder, z.B. aus sozialen Netzwerken, für Zwecke der Gesichtserkennung verwendet werden?
- 00:39:00 – Wäre ein Verbot der Gesichtserkennung durch die EU sinnvoll?
- 00:42:00 – Gesellschaftliche Worst-Cases durch Erstickung der freien Meinung und Verfestigung sozialer Ausgrenzung.
- 00:55:30 – „Paybackgesichter vs. Aluhüte“ oder der Einsatz der Gesichtserkennung in der Wirtschaft und Wirksamkeit von Einwilligungen der Betroffenen.
- 01:04:00 – Gesichtserkennung als Grundlage der Augmented Reality.
Weiterführende Links
Hinweis: Die Links stammen aus unserer Podcastvorbereitung. Wegen des Umfangs verzichten wir diesmal auf die Nennung einzelner Autoren oder Namen der Onlinemagazine und Webseiten.
- The Secretive Company That Might End Privacy as We Know It
- Clearview-Enthüllungen: Gesichtserkennung erlaubt?
- Zum Verbot des Scrapings von Datenbanken und Inhalten auf Webseiten. EuGH, 15.01.2015 – C-30/14; BGH, 30.04.2014 – I ZR 224/12; High Court of Ireland Decisions (Ryanair Ltd v Billigfluege.de GmbH – [2010] IEHC 47).
- Clearview: Warum Gesichtserkennung so gefährlich ist – Digital – SZ.de.
- Gesichtserkennung: Clearview AI verkauft fragwürdige Technik an US-Behörden.
- BKA an Bord: EU treibt europaweiten Abgleich von Gesichtsbildern voran.
- Gesichtserkennung: VG Hamburg erlaubt biometrische Datenbank.
- BfDI für Verbot von biometrischer Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.
- Stoppt Brüssel die flächendeckende Gesichtserkennung?.
- Bericht: EU-Kommission möchte Gesichtserkennung nicht verbieten, aber strenger regulieren.
- San Francisco Bans Facial Recognition Technology.
- How facial recognition works.
- Facial Recognition Is Suddenly Everywhere. Should You Worry?
- Do you need to be concerned about facial-recognition technology?
- Facial recognition: A solution in search of a problem?
- Gesichtserkennung – Angst vor der Totalüberwachung – Digital – SZ.de
- Gesichtserkennung sollte der Polizei verboten werden – Digital – SZ.de.
- Facial recognition revisited – can it save lives and actually protect privacy?
- Facial Recognition Is the Perfect Tool for Oppression.
- Facial Recognition ‚Epidemic‘ in the UK.
- ICO statement in response to an announcement made by the Metropolitan Police Service on the use of live facial recognition.
- Facial recognition in King’s Cross prompts call for new laws.
- Automatisierte Gesichtserkennung – Gefährliches Potenzial.
- Gesichtserkennung: Microsoft-Manager bezeichnet Verbote als regulatorische „Hackebeile“.
- Gesichtserkennung – Sieben bizarre Blicke in die Glaskugel.
- Gesichtserkennung französischen Schulen: Datenschützer sind entsetzt.
- I spy with my little eye… – datenschutz-notizen | News-Blog der datenschutz nord Gruppe.
- Montreal grapples with privacy concerns as more Canadian police forces use facial recognition.
- China’s new 500 megapixel ’super camera‘ can identify thousands of people simultaneously.
- Chinese Telecoms Companies Confirm Mandatory Facial Recognition For New Numbers.
- Beijing Daxing Airport: Facial Recognition at Customs, Duty Free.
- In Hong Kong Protests, Faces Become Weapons.
- Missing Link: Hongkong-Proteste – mit Low-Tech gegen digitale Massenüberwachung.
- Schutz vor Ladendieben: Gesichtserkennung in Supermärkten – Datenschut
- Schutz vor Ladendieben: Gesichtserkennung in Supermärkten.
- Facial recognition service uses online footprint to get real-time data on interests, habits.
- Comparing the new Washington Privacy Act to the CCPA.
Nelson
8. März 2020 at 21:30Euer Kommentar zum Rassebegriff im Grundgesetz und anderen Rechtsnorm hat mich an etwas erinnert. Wenn ihr mal wieder eine Folge zum Strafrecht macht und auf das Thema Mord kommt, könnt ihr ja vielleicht darauf eingehen, dass die definierten Mordmerkmale zum Großteil auf Roland Freisler zurückgehen. Das finde ich schon sehr heftig. Sollte man da den Menschen von seinen Arbeiten trennen? Viele Nazijuristen konnten vor allem im Westen nahtlos ihre Karrieren fortführen. Nach der Wende hat man die „bösen“ DDR Juristen sehr viel krasser ausgesiebt. Kommunisten kamen im Westen schon immer schlechter an als rechte Socken 🙂
Christian
7. April 2020 at 12:48Noch als Ergänzung ein Beispiel, an was in dem Bereich Gesichtserkennung / Tracking aktuell geforscht wird: https://vicar-project.de/
Dort will man den Offline-Handel mit der Online-Welt gleichziehen lassen.
D.h. eine „anonymisierte aber durchgängige Erfassung“ für
– personalisierte Werbung
– individuelle Produktvorschläge
– Kunden ansprechen, die bestimmte Produkte suchen
– Alarm bei Bewegungsmuster von Ladendieben
Das Projekt geht also über Biometrie gegen Ladendiebstähle oder Biometrie in Werbetafeln hinaus.
PS: Der orwell’sche Einkaufstraum wird übrigens vom BMBF gefördert.