Als 1986 ein Gesetz gegen so genannte „Minispione“ in Kraft trat (§ 90 TKG „Missbrauch von Sende- oder sonstigen Telekommunikationsanlagen“), stellte man sich darunter noch Kugelschreiber mit versteckten Mikrofonen vor.
In der Zwischenzeit wird unser Alltag zunehmend von „smarten Geräten“ bestimmt, die mit Mikrofonen oder Kameras ausgestattet sind. Ohne Mikrofone wäre z.B. die Kommunikation mit digitalen Assistenten, wie Alexa in den Echo-Lautsprechern von Amazon nicht vorstellbar.
Bisher schien sich niemand an diesen „Lauschfunktionen“ zu stören. Doch spätestens, seitdem auch Spielzeuge smarte Abhörfunktionen erhalten, werden Kritik und Verweise auf das Verbot von Minispionen laut. Dementsprechend teilte die Bundesnetzagentur in einer Pressemitteilung mit, dass sie die smarte Spielzeugpuppe „Cayla“ für verboten hält und forderte Eltern zu deren „Unschädlichmachung“ auf.
In dieser Podcastfolge widmen wir uns nicht nur „Cayla“ sondern prüfen generell, ob und wann smarte Geräte nach § 90 TKG verboten sind. In diesem Rahmen lernen die geneigten Hörer auch, wie der Bedeutungsgehalt von Gesetzen juristisch ergründet wird.
Wie immer freuen wir uns auf Ihre Kommentare und Ansichten!
- 00:00:00 – Hausmeisterei und Feedback
- 00:05:30 – Die Puppe „Cayla“ und ihre technischen Zuhörfähigkeiten.
- 00:08:80 – Das Verbot der Bundesnetzagentur gem. § 90 TKG.
- 00:09:70 – Was sind Minispione und wann ist deren Herstellung, Einführung, Vertrieb und Besitz strafbar?
- 00:22:30 – Liegen überhaupt die Voraussetzungen des § 90 TKG vor?
- 00:26:30 – Was ist der Sinn und Zweck des Verbotes? Es gibt doch schon so viele andere Vorschriften, die die Privatsphäre schützen.
- 00:31:30 – Sind alle smarten Geräte verboten? Smart Home Adé? Siri, Alexa und Cortana dürfen nicht zuhören?
- 00:40:00 – Warum wird das Problem ausgerechnet bei Spielzeugpuppen relevant und helfen Signallampen?
- 00:49:00 – Darf man „echte“ Spionagewerkzeuge mit smarten Geräten vergleichen?
- 00:52:00 – Die juristischen Auslegungsregeln und was der Gesetzgeber eigentlich wollte.
- 01:03:00 – Führen technische Sicherheitslücken und Missbrauchspotential zum Verbot?
- 01:10:00 – Wir definieren die Kriterien, bei deren Vorliegen, smarte Geräte untersagt sind.
Genannte Vorschriften
- § 90 TKG – Missbrauch von Sende- oder sonstigen Telekommunikationsanlagen
- § 148 TKG – Strafvorschriften (zum § 90 TKG)
- § 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.
- § 201a StGB – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen.
- § 22, 33 KUG – Strafbarkeit der Veröffentlichung und Verbreitung von Bildnissen
- §§ 43, 44 BDSG – Bußgelder und Strafbarkeit im Datenschutzgesetz
- Art 103 Abs. 2 zur Normenklarheit und Bestimmbarkeit
Genannte Unterlagen, Aufsätze und Urteile
- Beschluss des Schutzes gegen „Minispione“ in der Bundestagsdrucksache BT-DrS. 10/1618
- Pressemitteilung der Bundesnetzagentur zur Spielzeugpuppe „Cayla“
- „My friend Cayla“ – eine nach § 90 TKG verbotene Sendeanlage? von Stefan Hessel, JurPC Web-Dok. 13/2017
- „Internet of Things“ – Chaosradio Nr. 218 vom 26.11.2015 mit Marcus Richter (Moderation) und derpeter, mutax, danimo
- Rechtliche Auslegungsgrundsätze in der Wikipedia
- Normenklarheit in der Wikipedia
- Twitternde Conversnitch-Lampe
Stephan D.
5. April 2017 at 14:11Lieber Thomas,
Wenn man Caylas Fähigkeit, Fragen zu beantworten, als ihre charakteristische Eigenschaft ansieht bzw. sie zum „Zuhören“ zu benutzen als ihren bestimmungsgemäßen Gebrauch, dann ist die Puppe zerstört, wenn ihr das Mikrophon rausgerissen wird. Dazu bemühe ich dieses Buch von Herrn Fischer, dass mir – aus Gründen – leider nur in der 53. Auflage greifbar vorliegt, und in dessen Randnummer 14 zu § 303 es heißt: „Zerstören ist eine so weitgehende Beschädigung einer Sache, dass ihre Gebrauchsfähigkeit völlig aufgehoben wird“. So. ICH SAG ES JA NUR.
Thomas Schwenke
8. April 2017 at 14:01Da gebe ich Dir Recht, zumindest im juristischen Sinne. Mir ging es darum, dass man in der Presse vom „Vernichten“ sprach, was sich m.E. nach Aufhebung jeglicher Fuktion anhört (also im Sinne von zerschlagen & wegwerfen).
Daniel
9. April 2017 at 11:57Danke für diese weitere interessante Folge.
Als Filmtonmeister habe ich regelmäßig mit versteckten (Funk-)Mikrofonen zu tun. Gelegentlich kommt es auch vor, dass ein Mikrofon inklusive (BnetzA lizensiertem) Sender in Alltagsgegenständen verbaut wird. Daraus ergeben sich diverse spannende Fragen, wann welcher Gegenstand zu einem verbotenen nach §90TKG betrachtbar wird.
Der häufigste Fall wären Dialogszenen im Auto. Aber auch in Vasen, Geschirr, Bildern an der Wand, Möbeln, Tischtelefonen uvam wird sowas verbaut, sodass die Kamera es nicht sieht, ggf aber auch niemand anderes. Das Fahrzeug/Möbelstück/Vase/etc ist dann ein Alltagsgegenstand, der „in besonderer Weise geeignet ist aber NICHT dazu bestimmt, das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen von diesem unbemerkt abzuhören.“
Letzteres geschieht aber trotzdem und ist unvermeidbar. Am Set wird nicht nur das öffentliche Wort (aka Drehbuchtext, allgemeine Kommandos) vor oder während der Aufnahme gesprochen, sondern auch Regieanweisungen, private oder dienstliche Gespräche, bei denen sich die Sprechenden nicht unbedingt bewusst sind, dass gerade jemand mitgehört.
Eigentlich weiß jeder der im Kontext von Dreharbeiten arbeitet, dass im Set oder an Schauspielern Mikrofone versteckt sein können. Nichts desto trotz denkt niemand immer daran oder bemerkt es just in dem Moment. Daneben gibt es setunerfahrene Personen, z.B. Komparsen, Praktikanten oder Kinder. Egal ob ich nun vor oder zwischen den Aufnahmen ins Mikro hineinhöre (was ich aus verschiedenen Gründen muss), könnten dies auch andere Personen der Crew die ein Empfangsgerät tragen oder gar der Paparazzi mit Richtantenne auf der anderen Straßenseite.
Ein Sonderfall wo (aus mehr oder weniger redlichen Motiven) versteckt verbaute Funkmikrofone sehr wohl dazu bestimmt sind das nicht öffentliche Wort abzuhören sind Produktionen mit versteckter Kamera. Das können einerseits Sendungen wie Quiztaxi oder „Verstehen sie Spass?“-Derivate sein, bei denen die Abgehörten erst nachträglich ihr Einverständnis geben, aber auch investigativer Journalismus, bei denen zwar das Wort später nachgesprochen (und das Gesicht verpixelt) wird, zunächst aber abgehört und aufgezeichnet.
Der viel-besprochene Kugelschreiber kann in abgewandelter Form auch zum Einsatz kommen, sagen wir im Arztkittel-Kostüm. Hierbei ist die Sendeanlage im Regelfall nicht im Kugelschreiber verbaut, sondern ist in der Innentasche oder am Hosenbund des Schauspielers. Als „Alltagsgegenstand“ käme dann nicht der Kuli, sondern höchstens das Kostüm oder gar der Schauspieler selbst in Betracht.
Deus Figendi
31. Mai 2017 at 14:29Sorry, dass ich den Cast erst jetzt höre… Ich hatte einen vergleichbaren wie Daniel, ich dachte an Geheimdienste znd Ermittlungsbehörden.
Klar, denen ist unter gewissen Umständen erlaubt Personen und Gespräche ohne deren Wissen abzuhören also eine Ausnahme von StGB 201.
Aber wenn schon Besitz, Handel und Herstellung verboten sind, dann darf der Verfassungsschutz (oder die LKA) auch keine Wanze in einen Schreibtisch einbauen, falls diese sendet oder telekommuniziert, weil sie dann quasi „ummantelt“ ist.
Mglw. stellt man auch einen Minispion her, wenn man auf einem Computer Software installiert, die heimlich oder offensichtlich Bild- und Tonaufnahmen macht.
Jehnseits des p90:
Ich fände es wünschenswert wenn auch Privatleute, die ich besuche mich darauf hinweisen würden oder müssten, wenn sie einen digitalen Assistenten laufen haben.
Maria Dimartino
9. April 2017 at 13:41Schöner Beitrag! Ich möchte noch den wichtigen Hinweis ergänzen…..;-)
,nämlich dass das juristische Gutachten zur Puppe „Cayla“ von einem Jurastudenten – Herrn Stefan Hessel – der Universität des Saarlandes verfasst worden ist.
UL
14. April 2017 at 10:37Sehr geehrter Herr Schwenke, sehr geehrter Herr Richter,
mit Interesse verfolge ich ihre Podcasts. Dieser jedoch war besonders informativ.
Passend zum Thema möchte ich ihnen folgenden Artikel aus der SHZ.de bekannt machen:
http://www.shz.de/regionales/hamburg/spyshop-james-bond-in-hamburg-hoheluft-id16589836.html
Viele Grüße
David
3. Mai 2017 at 2:42Spontaner Kommentar nach 01:07:00 – Herr Richter argumentiert aus der Perspektive des Gesetzgebers, der ein neues verbessertes Recht formulieren möchte, Herr Schwenke argumentiert aus Perspektive des Anwenders der aktuell vorherrschenden Rechtslage, und gegenseitig tritt man sich immer wieder auf die Füße. Ein großer Spaß für Jung und Alt. <3
Dr. Georg Ramsauer
10. Juni 2024 at 7:54Haben wir keine anderen Probleme als die Puppe Cayla?